Ins Gleichgewicht (zurück)finden
Kinder rennen über Löwenzahnwiesen, klettern auf Apfelbäume, spucken Kirschkerne, klatschen in die Hände und springen Springseil. Kinder bewegen sich. Freiwillig und ganz natürlich. Tiere auch. Ein Hund, der mit dem Schwanz wedelt und nach dem Stöckchen rennt, ist meist gesünder als der, der den ganzen Tag in der Ecke liegt. Wer sich bewegt, der lebt.
Als Menschen leben wir von Bewegung:
Unser Herz schlägt, unser Blut fließt, unsere Darmzellen schicken die Nährstoffe dorthin, wo sie hingehören, und den Rest wieder hinaus. Bewegung ist Leben.
Im Gegensatz zu den Kindern sieht es bei Erwachsenen oft anders aus – überspitzt gesagt so: Zum Frühstück sitzen wir am Frühstückstisch, dann hocken wir auf unserem Bürostuhl und abends lümmeln wir auf dem Sofa. Wenn es um Bewegung geht, sind wir eine faule Gesellschaft geworden. In Deutschland bewegen sich 85 % der Menschen zu wenig.
Wenn der innere Schweinehund mit dem Schwanz wedelt
»Luft und Bewegung sind die eigentlichen geheimen Sanitätsräte«, sagte einst Theodor Fontane. Manchmal fällt es mir schwer, ihm Recht zu geben. Zum Beispiel, wenn es draußen nass und grau ist. Mein Verstand sagt mir zwar: Geh hinaus! Aber der innere Schweinehund bellt: Bleib, hier ist es gemütlicher! Interessant ist jedoch: Wenn ich meinem inneren Widerstand trotze und an der frischen Luft bin, geht es mir besser. Anschließend bin ich motivierter, und mein Kopf ist klarer.
Bewegung tut gut. Studien zeigen, dass bereits Bewegungseinheiten von nur zwanzig Minuten positive Effekte haben. Auswirkungen auf Kreislauf und Muskulatur sind vielfach nachgewiesen. Beachtlich ist aber: Auch die Gehirnaktivität erhöht sich durch Bewegung. Nach einem Spaziergang von nur zwanzig Minuten ist die Aktivität unseres Gehirns wesentlich höher als nach einer sitzenden Tätigkeit. Es ist sogar erwiesen, dass regelmäßige Bewegung deutlich das Risiko vermindert, im Alter dement zu werden. Zudem werden bei Bewegung Endorphine ausgeschüttet, die unseren Stresspegel senken und unsere Leistungsfähigkeit erhöhen.
Bewegung als Stopp im Alltag
So gut wie jeder, dem ich begegne, wünscht sich, leistungsfähig und weniger gestresst zu sein. Ich auch. Dafür rennen wir zum Arzt, trinken Fertig-Smoothies, fliegen in den Urlaub, geben viel Geld aus und schlucken Pillen. Das Naheliegende erscheint uns aber oft zu banal: Bewegung. Ein täglicher Spaziergang kostet nichts, hat aber den Effekt eines Mini-Urlaubs für Körper und Seele. Und wer fährt nicht gern in den Urlaub?
Natürlich ist Bewegung nicht nur Spazierengehen. Wer es mag und schlau ist, wird diese Vorliebe für sich nutzen. Aber Bewegung kann auch heißen: Ich nehme die Treppe statt den Fahrstuhl, und im Büro telefoniere ich vielleicht nicht mit dem Kollegen nebenan, sondern besuche ihn einfach. Gemeinerweise hat der Fortschritt die Bewegung leise aus unserem Alltag verbannt und gaukelt uns vor, ohne sie sei es bequemer. Und wir fallen darauf herein und bezahlen am Ende mit viel Geld und unserer Gesundheit.
Was passt, das passt
Was für ein Bewegungstyp sind Sie? Bevor wir uns etwas vornehmen, ist es wichtig, das zu wissen. Denn nur wenn zu uns passt, was wir uns vor-nehmen, werden wir es auch umsetzen. Ich bin zum Beispiel eher der Einzelgänger. Für mich wäre eine Volleyballmannschaft nichts. Ich möchte Tempo und Zeit selbst bestimmen. Es macht mir nichts aus, stundenlang zu wandern oder zu spazieren. Für mich ist so etwas Urlaub – für meinen Nachbarn vielleicht eher eine Strafe. Er geht aber gern ins Fitness-Studio, weil er Menschen um sich braucht, feste Termine hat und sich anstrengen will. Was für ein Typ sind Sie? (Weitere Fragen siehe Infokästchen.) Das herauszufinden und entsprechend der Antworten Bewegung in den Alltag zu integrieren, ist schon die halbe Miete. Denn Statistiken zeigen, dass Menschen vor allem aus zwei Gründen aktiv sind: um die Gesundheit zu fördern, aber auch um Spaß zu haben. (Das gaben jeweils 96 Prozent der sportlich Aktiven in der Schweiz an).
Mit kleinen Schritten beginnen
Bewegung sollte also keine Quälerei sein. Es gilt wie für vieles: Realistische Ziele setzen und lieber klein anfangen. Es ist besser, mit einem zusätzlichen Spaziergang pro Woche zu beginnen oder mit einem Abend pro Woche im Fitness-Studio, als sich vorzunehmen: Ab heute jeden Tag. Die kleinen Schritte, die wir uns vornehmen und schaffen, motivieren später, weitere Schritte zu gehen. Finden Sie also heraus, was zu Ihnen passt, und haben Sie Freude daran!
- Welcher Sport passt zu mir? Hilfreiche Fragen:
- Bin ich ein Team-Mensch oder eher ein Einzelgänger?
- Was erhoffe ich mir durch die Aktivität?
- Wie viel Zeit will und kann ich investieren?
- Was wäre der perfekte Ort für meine Aktivität?
- Welche Aktivität passt zu meinem Körper?
Tests mit persönlicher Auswertung finden Sie auch im Internet.
Stephanie Kelm
Redaktorin und Hebamme
Leben & Gesundheit Ausgabe 2/2016